Dunkle, fast senkrechte Wände ziehen links und rechts nahe am Schiff vorbei, und kurz kommt ein leichtes Gefühl der Beklemmung auf. Vielleicht liegt es an den schwarzen Felsen, am garstigen Wetter, der Müdigkeit oder einfach nur daran, dass sich das Auge in den vergangenen Tagen an eine unendliche Weite gewöhnt hat.
Seit wir auf Spitzbergen angekommen sind, wandert der Blick kilometerweit, eilt durch nichts aufgehalten in die Ferne und sucht nach Orientierungspunkten in dieser beeindruckenden Leere. Die Häuser in Longyearbyen, dem Hauptort der norwegischen Insel hoch über dem Polarkreis, waren noch eine solche Stütze. Doch seit die Nordstjernen der Reederei Hurtigruten den Hafen verlassen und für eine Reise entlang der Westküste Spitzbergens aufgebrochen ist, umgibt sie nur noch Wildnis.
Dunkle, fast senkrechte Wände ziehen links und rechts nahe am Schiff vorbei, und kurz kommt ein leichtes Gefühl der Beklemmung auf. Vielleicht liegt es an den schwarzen Felsen, am garstigen Wetter, der Müdigkeit oder einfach nur daran, dass sich das Auge in den vergangenen Tagen an eine unendliche Weite gewöhnt hat. Seit wir auf Spitzbergen angekommen sind, wandert der Blick kilometerweit, eilt durch nichts aufgehalten in die Ferne und sucht nach Orientierungspunkten in dieser beeindruckenden Leere. Die Häuser in Longyearbyen, dem Hauptort der norwegischen Insel hoch über dem Polarkreis, waren noch eine solche Stütze. Doch seit die Nordstjernen der Reederei Hurtigruten den Hafen verlassen und für eine Reise entlang der Westküste Spitzbergens aufgebrochen ist, umgibt sie nur noch Wildnis.
Die enge Passage ist nur kurz. Der Eingang in den Magdalenefjord, der sich acht Kilometer ins Landesinnere zieht, öffnet sich bald zu einem breiten Becken. Die Front, die dort den Meeresarm begrenzt, ist ebenfalls auffallend hoch, aber sie besteht nicht aus Fels, sondern aus bläulich schimmerndem Eis: die Abbruchwand des Waggonwaybreen-Gletschers. Er ist nicht der einzige, der in dieses Fjord kalbt, aber mit einer Breite von sieben Kilometern ist er der grösste.
Doch nur wenige Passagiere sind an Deck des Schiffes gekommen, um ihn zu bestaunen. Das obligate Klicken von Fotokameras ist zu hören, gesprächig ist in diesem Moment niemand. Man nickt sich freundlich zu und hüllt sich tiefer in die Funktionsjacke. Es ist drei Uhr morgens. Wer es aus der dunklen Kajüte geschafft hat, blinzelt im Licht. Seit Ende April geht die Sonne so weit nördlich des Polarkreises nicht mehr unter. 24 Stunden lang ist es taghell. Eine Herausforderung für den Biorhythmus der deutschen, englischen, amerikanischen und französischen Gäste, sodass die Aussicht auf einen Gletscher nicht mehr alle der rund 80 Passagiere aus den Federn zu locken vermag. Es sind nicht die ersten Eismassen, denen sie begegnen. Mehr als 60 Prozent von Spitzbergen ist von Eis bedeckt. Im Liefdefjord ankerte die Nordstjernen beispielsweise vor dem eindrücklichen Monaco-Gletscher, und wer wollte, konnte die Gletscherzunge mit ihrer skurrilen Struktur im kleinen Polarzirkelboot aus der Nähe betrachten. Bricht ein Stück ab, treiben türkisblaue Eisinseln wie Kunstwerke im Meer. Manche erinnern in ihrer Form an blaue Korallenstöcke, andere sind flach, rau und weiss. Expeditionsgefühle kamen auf, Abenteuergeist. War das heute? Oder gestern? Die Tage werden konturenlos, gehen fliessend ineinander über, die Zeit verliert an Bedeutung ohne den Kontrast von Tag und Nacht, wird ein unwichtiges Anhängsel aus einer scheinbar anderen Welt. Wäre da nicht der Terminplan an Bord für InfoMeetings, Anlandungen und Highlights wie die Fahrt in den Magdalenefjord.
Trapper und Walfänger
Die Landschaft, ihre Weite und die Wildnis gehören zu den Höhepunkten einer Spitzbergenreise. So oft wie möglich zeigen die sieben Guides – sportliche, fröhliche Menschen aus Norwegen, Schweden, Deutschland und Frankreich – sie betreuen ihren Gästen nicht nur vom Schiff aus, sondern führen sie an Land, zu alten Trapperhütten, in denen Eisbären- und Polarfuchsjäger im Winter ausharrten, auf Wanderungen über den weichen, federnden Tundraboden und machen auf schöne Vögel, das SpitzbergenRentier und die Geschichte der Region aufmerksam. Diese war zuerst vom Walfang, der Walross- und Robbenjagd geprägt, danach spielten die wertvollen Felle von Eisbär und Fuchs eine wichtige Rolle, bis die Insel als Ausgangspunkt von Expeditionsreisen und später für die reichen Kohlevorkommen bekannt wurde. Noch immer haben sich die Wal- und Walrossbestände nicht von der Jagd erholt. Mit Glück lassen sich aber zur richtigen Zeit sogar Blauwale beobachten. Walrosse trifft man am ehesten auf der Insel Moffen an. Ein flaches Stück Land im scheinbaren Nirgendwo, auf dem die massigen Tiere die höchste Erhebung sind.Der König der Arktis aber ist der Eisbär, und mit ihm muss – oder darf – auf Spitzbergen jederzeit gerechnet werden. Bei Landgängen sind die Guides immer bewaffnet, und die Universität in Longyearbyen ist wohl die einzige der Welt, die ihren Studenten für die Feldforschung Waffen ausleiht. Stundenlang halten die Passagiere vom Schiff aus Ausschau, doch auf dieser Reise lässt sich kein Polarbär blicken. Der Winter war warm und das Meer war nicht gefroren. Verhängnisvoll für Eisbären, die auf dem Treibeis nach Robben jagen. «Wahrscheinlich sind sie dem Eis weiter Richtung Norden und Osten gefolgt», sagt Kapitän Tormod Karlsen. Der 66-Jährige ist pensioniert, steuert aber immer noch jeden Sommer die nostalgische Nordstjernen um Spitzbergen. Er war als Kapitän für Hurtigruten überall auf der Welt unterwegs, doch das Svalbard-Archipel und die alte Schiffsdame haben es dem Nordnorweger angetan. «Die Natur hier oben ist einmalig.
Und die Nordstjernen hat mit ihren 60 Jahren nichts gemeinsam mit einem neuen Schiff.» Ob das Wegbleiben des Meereises mit der Klimaerwärmung zu tun hat, möchte Karlsen nicht bejahen. «Aber in den vergangenen zehn Jahren hatten wir immer weniger Eis. Es verändert sich definitiv etwas.»
Mehr Tiere als Menschen
Theoretisch leben auf Spitzbergen mehr Eisbären als Menschen. Forscher rechnen mit rund 3000 Tieren, Einwohner gibt es rund 2700. Die meisten Menschen leben in Longyearbyen, wo auch der Flughafen liegt. Ein Ort als Kontrast zum Rest der Insel. Hier gibt es ein Einrichtungshaus mit Fellen von Polarfüchsen, verschiedenen Bären, Robben und Wölfen. Ein Sushilokal, das gemütliche Fruene Café und ein Gourmet-Restaurant.
Die zweitgrösste Siedlung, Barentsburg, fasziniert auf andere Art. Sie ist russisch, die Besucher werden von einer Lenin-Statue und bunt gemusterten Gebäudekomplexen begrüsst. Hier wie auch in Longyearbyen ist nur noch ein Bergwerk in Betrieb. Das Geschäft lohnt sich kaum noch, die Arbeit ist sehr mühsam und anstrengend. Die geräumige Hotelbar ist tagsüber leer, und zum Kaffee gibt es auf Russisch angeschriebene Schokolade. Sogar ein sehr mildes Bier wird hier im Ort gebraut. In Ny-Ålesund sind die Minenarbeiter längst abgereist, heute leben und arbeiten Forscher aus 15 Nationen in den bunten Häuschen und versuchen, der arktischen Welt ihre Geheimnisse zu entlocken. Direkt vor den Haustüren stecken kleine Schilder im Boden, Forschungszone. Ausser ein paar Küsten-Seeschwalben, die aggressiv ihre Nester verteidigen, ist es absolut ruhig im Ort.
Keine Strasse verbindet die drei Siedlungen. Im Sommer sind Schiffe das beste Fortbewegungsmittel, im Winter Hundeschlitten oder Schneemobile. Diese sind in Longyearbyen, wo die Hurtigruten-Reise beginnt und endet, überall parkiert. Nutzlos stehen sie auf der braunen, sumpfigen Erde, die der Schnee zurücklässt, wenn er sich zurückzieht. An einigen Stellen trotzt die spärliche Vegetation bereits der Ödnis und leuchtet in ungewohnten, starken Farben. Ocker- und Gelbtöne, grünbläuliche Flächen ziehen sich in die Weite, die in den Bergen verschwindet. An einem Hang steht eine hübsche kleine Kirche. Auf der ganzen Insel gibt es nur einen Geistlichen, der die Anhänger aller Religionen betreut. Man ist nicht zimperlich auf Spitzbergen. Wer hier lebt, muss arbeiten. Es gibt keineSozialleistungen und nur eine einzige Pensionärin. Gestorben wird im besten Fall auf dem Festland, denn der Permafrostboden lässt keine Beerdigungen zu.
Nach der Arbeit geht man auf ein Bier in die Svalbar. Dort trifft man Walfänger beim Billardspielen, blonde Studentinnen und Tour Guides. Einer von ihnen, in Pelzstiefeln und mit rötlichem, kurzem Haar, ist Marcel Schütz. Der 26-Jährige ist aus Bern und lebt seit 2010 fest auf Spitzbergen. Als Jungunternehmer plant, organisiert und führt er individuelle Ausflüge oder ganze Wochentrips. «Spitzbergen hat mich gepackt», sagt er. Die Natur sei hier jeden Monat anders und es gebe viele interessante Menschen. Das Wichtigste ist ihm aber: «Innerhalb von fünf Minuten bin ich mitten in der Wildnis und mutterseelenallein.» Das ist die Freiheit der Arktis.
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