Der dritte Meistertitel in Serie, dazu das erste Double seit 1958: YB dominiert eindrücklich den Schweizer Fussball. Dies auch dank Chefscout Stéphane Chapuisat, der auf der Suche nach Talenten und Verstärkungen immer wieder ein gutes Händchen beweist.
Jahrzehntelang mussten die Berner auf Titel warten. Der Bann wurde dann 2018 mit dem Gewinn der Meisterschaft gebrochen. Seither walzt YB den Rest der nationalen Liga platt. Auch Abgänge wie vor der letzten Saison, als unter anderem die Nationalspieler Kevin Mbabu, Djibril Sow und Loris Benito ins Ausland abwanderten oder Captain Steve von Bergen seine Karriere beendete, konnten die Berner Maschinerie nicht stoppen. Die Lücken werden scheinbar problemlos gefüllt, die neu verpflichteten Spieler schlagen regelmässig ein und entpuppen sich als Verstärkungen. Es ist der Lohn für viel, gut durchdachte und mit Weitsicht verrichtete Arbeit im Hintergrund. Und das Resultat von funktionierendem Teamwork. «Wichtig ist vor allem, dass man in Gruppen arbeitet und genau definiert, welchen Spielertyp wir wollen, welchen wir brauchen. Dass man sich da viele Gedanken macht» sagt Stéphane Chapuisat, der seit zehn Jahren Chefscout der Berner ist und an der Basis von manchem gelungenen Transfer stand. «Ich haben das Glück, dass wir mit Christoph Spycher, Gérard Castella und Gerardo Seoane ein gutes Team haben. Ich kann für mich interessante Kandidaten auch ihnen zeigen, es schauen viele Augen mit.» Ein weiteres Erfolgsgeheimnis ist für ihn, dass das Team in diesem Bereich verhältnismässig klein ist und die Entscheidungswege entsprechend kurz sind, so dass jeweils ein schnelles und flexibles Handeln möglich ist.
Wer heute Erfolge feiert, hat in den vorherigen Jahren viel richtig gemacht. Es geht darum, perspektivisch zu arbeiten und zu erkennen, welche Position in welchem Zeitraum neu besetzt werden muss. Und natürlich wie. Frei nach dem Motto «im Moment gewinnen und für die Zukunft säen». In einem fussballerischen Ausbildungsland wie der Schweiz ist es der Optimalfall, wenn ein Vakuum mit eigenen Junioren gefüllt werden kann. Aus diesem Grund werden «Schattenmannschaften» geführt, in denen aufgezeigt wird, welches Talent wann und auf welcher Position den Sprung in die erste Mannschaft schaffen könnte. Bei den Bernern ist da auch André Niederhäuser involviert, der sich um das Nachwuchs-Scouting kümmert. «Es ist eine rollende Planung, denn bei den Junioren kann es sich schnell ändern. Man schätzt einen Spieler als super ein, dann kommt er in eine Baisse», erklärt Chapuisat. Der Fokus liege da nicht nur auf den eigenen Talenten, sondern auch auf den Nationalteams ab der U15 und den Partnerschaften in Bern und Fribourg, die auf dem Radar sind. Talente in jungen Jahren werden immer wieder von verschiedenen Personen beobachtet, intern bewertet und wie die anderen interessanten Spieler in einer Datenbank erfasst. Chapuisat sagt: «Diese Daten sind für den Verein sehr wichtig. Da sieht man die Qualitäten, die verschiedenen Leuten aufgefallen sind.» Bereits in dieser Phase werden die einzelnen Spieler für Positionen vorgesehen, wobei es ein Vorteil ist, polyvalent zu sein. So hat man als junger Spieler vielleicht dereinst die Chance, den Sprung in den Profibereich auf einer anderen Position zu schaffen und später wieder auf die ursprüngliche Position zurückzukehren. Aus diesem Grund werden Talente im Rahmen der rollenden Planung polyvalent geschult, damit ein zentraler Mittelfeldspieler auch mal als Verteidiger eingesetzt werden kann. Gleichzeitig werden Spieler, die über das nötige Potenzial verfügen, die aber aufgrund der starken Konkurrenz intern aktuell zu wenig Spielminuten erhalten würden, an andere Klubs ausgeliehen. So sammelte beispielsweise einst Goalie David von Ballmoos seine Erfahrungen in Winterthur, als er in Bern hinter Yvon Mvogo und Marco Wölfli anstehen musste.
Wenn der Spieler mit dem gewünschten Profil im eigenen Nachwuchs nicht vorhanden ist, richtet sich der Blick auf die Super League und die Challenge League. Weil Chapuisat den grössten Teil der YB-Spiele besucht, kennt er die Spieler in der Schweiz. So wurde einst beispielsweise Jean-Pierre Nsame geholt, als er in der Challenge League für Servette Treffer um Treffer erzielte, Christian Fassnacht aus Thun, Vincent Sierro, der in St. Gallen spielte und Freiburg gehörte, oder nun Silvan Hefti aus St. Gallen. Eine grosse Rolle spielt natürlich auch der internationale Markt, auf dem die Klubs aus der ganzen Welt nach potenziellen Stars suchen. Noch vor einigen Jahren war ein Talentsucher fast pausenlos auf Reisen, durch die Digitalisierung sind heute Videos von Spielern aus der ganzen Welt verfügbar. So kann eine erste Triage erstellt werden, die das Reisen zwar mindert, aber nicht ganz eliminiert. Es sei wichtig, einen Spieler auch live spielen zu sehen, um seine Körpersprache und Reaktionen abseits des Spielgeschehens zu erkennen. Und man müsse ihn treffen, um den Menschen und nicht den Spieler kennenzulernen. Um zu merken, ob er als Typ passt und ob für ihn das Projekt YB das richtige ist. Auch deshalb dürfe man nicht nur auf die erfassten Daten vertrauen, «das wäre gefährlich», so Chapuisat. Vor allem bei internationalen Transfers spielt natürlich das liebe Geld eine bedeutende Rolle. In der Schweiz gehören die Berner finanziell zu den Schwergewichten, international, wo auch die Top-Klubs im selben Teich fischen, ist es fast nicht möglich, höchsttalentierte Spieler um die 20 Jahre zu finanzieren. «Da braucht es den Berater und den Spieler, welche die sportliche Entwicklung stärker gewichten als die aktuellen finanziellen Möglichkeiten. Wenn das Geld der wichtigste Faktor ist, haben wir in der Schweiz kleine Chancen, einen Spieler zu holen», so Chapuisat. «Die Schweiz ist eine gute Plattform, um sich zu zeigen. Wir wollen hungrige Spieler, die besser werden wollen, um eines Tages weiterzuziehen.»
Mitentscheidend ist bei der Talentsuche in der schier unendlich grossen Welt des Fussballs das Netzwerk, über das Stéphane Chapuisat als ehemaliger Bundesligastar und Champions League-Sieger selbstredend verfügt. Wichtig sei es auch, auf alle Anfragen immer und korrekt zu antworten. Es kann ja der Fall eintreffen, dass ein Spieler zwar interessant ist, aber heute im Kader kein Platz für ihn frei ist, aber morgen schon durch einen Transfer oder eine Verletzung die Situation eine ganz andere eintrifft und Bedarf besteht. So war es einst, als Yuya Kubo die Berner verliess. Aufgrund des baldigen Schliessens des Transferfensters musste schnell Ersatz her. Chapuisat dachte sofort an Roger Assalé, den Stürmer von der Elfenbeinküste, den er schon länger verfolgt hatte und mit dessen Berater er regelmässig Kontakt hatte. Assalé kam nach Bern, wobei bei ihm speziell war, dass ihn der YB-Chefscout zuvor nie live spielen gesehen hatte. «Es war klar, dass wir in einem solchen Fall einen Spieler nicht kaufen, sondern mit einem Leihvertrag und einer Kaufoption verpflichten wollen. So kann man ihn während sechs Monaten besser kennenlernen, aber bei Assalé war ich überzeugt, dass er die Qualität mitbringt, die wir suchen.» Auch 14 Jahre nach dem Ende seiner glorreichen Karriere ist Chapuisat, mittlerweile 51 Jahre alt, immer noch dem Fussball eng verbunden und erfolgreich. Heute sorgt er zwar nicht mehr auf dem Feld für die entscheidenden Tore, sondern bereitet sie im Hintergrund vor. In einem Team, in dem die Zusammenarbeit mit seinem einstigen Nati-Kollegen Christoph Spycher besonders eng ist. Sie ergänzen sich perfekt. Ex-Stürmer Chapuisat, der zudem mit Nachwuchsangreifern auf dem Platz arbeitet, kann sich in die offensiven Spieler versetzen und bei der Beurteilung deren Gedankengänge nachvollziehen, für den einstigen Verteidiger Spycher gilt das für die Defensive. Dass die Mischung stimmt, zeigt der Erfolg. Und schlägt sich in der Bilanz nieder. Transfers wie jene von Mbabu, Sow, Sanogo, Zakaria oder Mvogo spülten in den letzten Jahren Millionen in die Klubkasse. Weitere werden in der Zukunft sorgen. Garantiert.
Zitat Stéphane Chapuisat
«Die Schweiz ist eine gute Plattform, um sich zu zeigen. Wir wollen hungrige Spieler, die besser werden wollen, um eines Tages weiterzuziehen.»
Autor: Andy Maschek
Foto: Pius Koller
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