Der US-amerikanische Pilot Bruno Vassel ist in der Szene wegen seiner vielen, liebevoll produzierten Cockpit-Videos bekannt. Im Juni 2017 erfüllte er sich einen lange gehegten Traum und flog mit seiner ASW 27 über den Grand Canyon. Wir haben mit ihm über den Flug, der ihn sehr bewegt hat, gesprochen.
Interview: Michail Hengstenberg
Fotos: Bruno Vassel
Segelfliegen Magazin: Wie hast Du Dich auf deinen Flug über den Grand Canyon vorbereitet?
Bruno Vassel: Gar nicht. Ich habe zwar über Jahre davon geträumt, diesen Flug zu wagen. Aber ich habe nie ernsthaft geglaubt, dass es dazu kommen würde. Es ist so ähnlich, als wenn man sich wünscht, mit einem Supermodell auszugehen. Davon träumen bestimmt viele Leute, aber niemand rechnet damit, dass er wirklich klappt. So war es bei mir mit dem Flug über den Canyon.
Segelfliegen Magazin: Warum?
Bruno Vassel: Ich war die ersten knapp zwanzig Jahre meines Segelfliegerlebens an einem Platz beheimatet, der noch weiter nördlich lag als mein jetziger Heimatflugplatz, Nephi im US-Bundesstaat Utah. Also nochmal 45 Meilen weiter weg vom Canyon. Aber auch, als Nephi mein Heimatflughafen wurde, habe ich nicht ernsthaft daran gedacht. Von Nephi war noch nie ein Pilot zum Canyon geflogen. Warum sollte ausgerechnet ich es schaffen?
Segelfliegen Magazin: Aber wie ist es dann zu dem Flug gekommen?
Bruno Vassel: Morgens auf dem Weg zum Flughafen schaute ich in den Himmel und hatte das Gefühl, dass es ein guter Tag werden könnte. Bei der Wetteranalyse am Platz sah ich dann, dass der Wind gut stand, ich würde auf dem Rückweg Rückenwind haben. Die Prognosen sagten gute Thermik ohne Überentwicklung mit guten Basishöhen voraus. Bei uns beginnt der Luftraum Klasse A bei 18.000 Fuß, die Basishöhe war für den Tag deutlich darüber angesagt – ich würde also hoch kurbeln können, das war klar. Nach dem Blick auf die Wetterkarte kam mir zum ersten Mal der flüchtige Gedanke. Vielleicht probiere ich heute mal den Grand Canyon?
Segelfliegen Magazin: Hättest Du nicht, wenn es Dein großer Wunsch war, einfach von einem anderen, näheren Flugplatz aus starten können?
Bruno Vassel: Es gibt in den USA nicht so viele Plätze mit Schleppmaschinen für Segelflugzeuge. Nephi ist der südlichste in Utah und damit der Flughafen mit Schleppmaschine, der am dichtesten am Grand Canyon dran ist.
Segelfliegen Magazin: Du hast Deinen Flug aufgezeichnet. Im Video sprichst Du von „Delamo Peak“ als einem kritischen Punkt, an dem Du Dich entscheiden wolltest, ob Du weiterfliegst oder umkehrst. Was hat es damit auf sich?
Bruno Vassel: Mit Delano Peak eigentlich nichts, das ist einfach ein relativ hoher Berg hier in Utah und ein beliebtes Ausflugsziel. Der Himmel war an diesem Tag etwas diesig. Normalerweise kann man an guten Tagen bei uns in Utah problemlos 150 Kilometer weit gucken. Dieser Dunst irritierte mich. Ich fürchtete, dass es sich dabei um Cirren handelte, die weiter im Süden am Himmel standen und den Flug eventuell gefährden könnten. Das wollte ich mir auf der Höhe des Delano Peak mal anschauen, aber es stellte sich dann heraus, dass es nur Dunst war, vielleicht auch Rauch von einem auf der weiteren Strecke lodernden Waldbrand. Also flog ich weiter. Ich war wohl auch noch etwas verunsichert von meinem etwas unglücklichen Abflug.
Segelfliegen Magazin: Was war passiert?
Bruno Vassel: Ich hatte in 1600 Fuß ausgeklinkt und fand einfach keinen Anschluss. Ich habe mich dann aus 600 Fuß wieder ausgegraben, mit einem Flugzeug, das bis an den Rand mit Wasser beladen war. Das war nicht so aufbauend. Zwar in Platznähe, ich hätte also problemlos wieder landen können, aber als Auftakt für so einen Flug braucht man das ja nicht.
Segelfliegen Magazin: Wie lief es dann weiter?
Bruno Vassel: Gut. Abgesehen von den ersten zehn Minuten des Fluges kam ich nie tief. Ich bin an dem Tag hundert Meilern weiter südlich geflogen, als je zuvor. Ich war also auf ungewohntem Terrain und das liebe ich. Es ist eines der Dinge, die mich am Segelfliegen so fasziniert: Diese Mischung aus Freude und Furcht. Ich meine nicht Furcht vor dem Tod, sondern Furcht vor dem Unbekannten. Und natürlich Furcht vor der Außenlandung und dem Anruf zuhause: „Schatz, ich bin ungefähr sechs Stunden Autofahrt von Dir entfernt außengelandet – könntest Du bitte den Anhänger ankuppeln und mich holen?“ (lacht).
Im Ernst: Während eines großen Teils des Fluges war der Flugplatz Kanab mein Rettungsanker – sowohl auf dem Hinflug, als auch auf dem Rückflug. Es gibt mindestens 50 Meilen nördlich, also in Richtung Nephi, keinen richtig guten Flugplatz und auch wenig gute Außenlandefelder. Ich habe also auf dem Hinweg erstmal Kanab als Zwischenziel angepeilt. Als ich Kanab passiert hattee, das ungefähr vierzig Meilen vom nördlichen Rand des Canyons entfernt ist, habe ich es im Rechner dringelassen, als ich weiterflog. Mein Ziel war, immer wieder nach Kanab zurückzukommen. Denn südlich von Kanab in Richtung Grand Canyon gab es nur noch sehr schlechte Außenlandemöglichkeiten, bei denen ein Schaden zumindest am Flugzeug sehr wahrscheinlich gewesen wären.
Segelfliegen Magazin: Aber im Video sieht es so aus, als musstest Du durchaus auch mal größere Strecken durchs Blau fliegen auf dem Weg zum Canyon. Hat Dich das nicht nervös gemacht?
Bruno Vassel: Es gibt ja inhomogenere Tage und Tage, an denen einfach jede Wolke zieht. Das war so ein Tag. Da es keine Anzeichen für eine Veränderung der Luftmasse gegeben hatte, machte ich mir auch keine Sorgen, dass die Cumuli auf der anderen Seite des blauen Lochs nicht ziehen würden – und so war es auch.
Segelfliegen Magazin: Aber war den Außenlandung überhaupt ein Thema?
Bruno Vassel: Nein, eigentlich nicht. Obwohl ich mich auf dem Hinflug gegen den Wind vorkämpfen musste, blieb ich immer oben und die Wolkenbasis war wirklich herrlich hoch. Auch über dem Canyon blieb ich oben, allerdings musste ich das auch: Über dem Canyon gibt es einen Luftraum für Sightseeing-Flüge, der geht vom Boden bis 14500 Fuß. Da musste ich drüber bleiben, das war aber auch nie ein Problem. Auf dem Rückflug spielte mir der Wind natürlich in die Karten, ich war eigentlich die ganze Zeit über dem Canyon im Gleitbereich von Kanab.
Segelfliegen Magazin: Also war der Rückflug ein Spaziergang?
Bruno Vassel: Nein, ganz und gar nicht. Als das Flugzeug nach Norden aufrichtete, sah ich zu meinem Erschrecken, dass die Wolken in Richtung Nephi sich aufzulösen begannen. Ich musste also schnell abfliegen und versuchen, wieder vor die Linie zu kommen, wo es abtrocknete. Das war eine Zeitlang gar nicht so einfach und sorgte für eine gewisse Anspannung im Cockpit (lacht). Aber als ich dann geschafft hatte, lief es wieder besser. Es standen zwar deutlich weniger Wolken und in größeren Abständen am Himmel, aber wenn eine Wolke zog, waren die Steigwerte immer noch enorm gut. Stress gab es für mich eher wegen etwas Anderem: Ungefähr hundert Meilen von Nephi entfernt fiel meine Bordelektronik aus. Ich fliege mit zwei Batterien, eine hatte offensichtlich eine fehlerhafte Verbindung und so wurde der andere Akku im Nu leergesaugt. Und nun saß ich da und hatte weder Moving-Map noch Vario, weil ich nur noch mit E-Vario und ohne Stauscheibe fliege. Ich musste also die letzten 100 Meilen allein mit Fahrtmesser und Höhenmesser zurücklegen, das war auf jeden Fall spannend.
Segelfliegen Magazin: Keine Probleme mit der Orientierung?
Bruno Vassel: Nein, Utha kenne ich von oben inzwischen sehr gut, man kann mich mit verbundenen Augen praktisch überall aussetzen und ich finde den Weg nach Nephi immer zurück.
Segelfliegen Magazin: Im Video sieht man Dich weinen, als Du über dem Canyon kreist. Was hat Dich so bewegt?
Bruno Vassel: (Überlegt): Hm … wie drücke ich es so aus, dass es nicht kitschig klingt? (lacht)
Segelfliegen Magazin: Ich habe mit Kitsch kein Problem.
Bruno Vassel: Also. Es war eine Mischung aus einem überwältigenden Gefühl des Erfolges, es endlich geschafft zu haben, außerdem war ich überwältigt von der unvergleichlichen Schönheit dieses Panoramas. Ich habe selten in meinem Leben so im Moment gelebt wie in diesen Minuten über dem Canyon.
Segelfliegen Magazin: Du sagst im Video aber, dass Du schon mal mit dem Motorflugzeug drüber geflogen bist. Was war der Unterschied?
Bruno Vassel: Es mit einem Segelflugzeug geschafft zu haben. Ich fliege inzwischen seit 23 Jahren und bin schon weite Strecken geflogen und trotzdem fasziniert es mich immer wieder, dass das überhaupt möglich ist. Ich weiß, dass es geht, habe es selber erlebt und kann es gleichzeitig nicht fassen. Und dieses Gefühl war über dem Canyon so konzentriert wie noch selten zuvor. Über Jahre hatte sich der Gedanke, der Wunsch, es zu versuchen, in meinem Kopf eingenistet und ich hatte ihn immer wieder zurück gedrängt weil ich dachte, es wäre nicht zu schaffen. Und jetzt hatte ich es geschafft. Da brachen dann die Dämme.
Segelfliegen Magazin: Wenn Du diesen Flug auf Deiner persönlichen Top-10-Liste eintragen müsstest – auf welchen Platz käme er dann?
Bruno Vassel: (Überlegt sehr lange) Definitiv unter den ersten drei.
Segelfliegen Magazin: Warum nicht Platz eins?
Bruno Vassel: Weil ich den Flug nicht angemeldet habe. Ich bin da ehrgeizig. Ich habe schon etliche angemeldete 750-Kilometer-Flüge hinter mir, die teilweise anspruchsvoller waren, weil ich die deklarierten Wendepunkte einhalten musste. Klingt vielleicht komisch, aber deswegen bewerte ich den Flug über den Canyon etwas anders. Hätte ich ihn angemeldet, wäre das ein neuer Rekord in Utah gewesen und vermutlich stünde der Flug dann bei mir auf Platz eins. (lacht)
Segelfliegen Magazin: Gibt etwas, dass Du von diesem Flug mitnimmst, dass Dich den Rest Deines Segelfliegerlebens begleiten wird?
Bruno Vassel: Gute Frage. Ich habe ein meinem Leben erst einen anderen vergleichbaren Flug gemacht, zu den Grand Tetons (eine Bergkette sehr markantem Profil). Von diesem Flug habe ich auch lange geträumt und ihn irgendwann in die Tat umgesetzt. Beide Flüge haben mich etwas gelehrt, nämlich größere Ziele ins Auge zu fassen und dann auch zu versuchen, diese umzusetzen. Jetzt träume ich vom einem 1000-Kilometer-Dreieck von Nephi aus über den Great Basin Nationalpark und irgendwann werde ich das auch versuchen.
Segelfliegen Magazin: Was alle drei Flüge, die Du erwähnst, eint, ist, dass es keine reinen Distanzflüge sind, sondern ein besonderes Ziel haben, das landschaftlich einen Reiz hat.
Bruno Vassel: Ja, richtig. Ich werde solche Ziele künftig vielleicht öfter ins Auge fassen. Nach mehr als zwanzig Jahren ist es gar nicht so einfach, neue Ziele zu definieren, sodass die Begeisterung für das Fliegen gleich hoch bleibt. Irgendwann hast Du Deinen Dreihunderter, Fünfhunderter oder vielleicht gar tausender ein paar Mal geflogen. Was kommt dann - ein weiteres Mal? Aus meinen Erfahrungen mit den Flügen zu den Grand Tetons und über den Grand Canyon nehme ich mit, dass es auch total beglückend sein kann, sich nicht ein weites, sondern ein schönes Ziel zu setzen.
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