Bei neun von zehn Patienten führt starkes Übergewicht zu Diabetes. Dabei nehmen Körperzellen nicht mehr ausreichend Glukose auf und der Glukosespiegel im Blut steigt. Der Grund dafür liegt darin, dass Insulin als lebenswichtiges Hormon teilweise seine Wirkung verliert. Forscher konnten nun zeigen, dass Effekte von Insulin auf die innere Zellschicht von Blutgefässen von grosser Bedeutung sind. Das könnte zur Lösung bei der Behandlung von Insulinresistenz beitragen.
Martin Heil
Insulin hat eine Schlüsselrolle im Stoffwechsel, weil es den Blutzuckerspiegel reguliert. Das Hormon Insulin hilft, den Blutzuckerspiegel zu senken, indem es die Aufnahme von Glukose aus dem Blut in verschiedene Zellen des Körpers fördert, insbesondere in Muskel- und Fettgewebe. Dadurch wird der Blutzuckerspiegel nach einer Mahlzeit gesenkt. Dieser Mechanismus ist bei stark Übergewichtigen, deren Zahl weltweit zunimmt, gestört, was zu einer Insulinresistenz führt. Um die Ursachen für Insulinresistenz bei stark übergewichtigen Patienten zu klären, fokussierte sich die Forschung bislang vor allem auf Stoffwechselorgane wie Leber, Fettgewebe und Skelettmuskulatur. In den Zellen dieser Organe finden sich Rezeptoren für Insulin. Bislang konnten jedoch noch keine Therapieansätze entwickelt werden, mit denen sich die Insulinresistenz beheben lässt.
Forschende um den Mediziner Stefan Offermanns am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung haben nun untersucht, welche Rolle die innerste Zellschicht in Blutgefässen, das sogenannte Endothel, bei der Entstehung von Diabetes bei Menschen mit Übergewicht spielt. Die an Mäusen durchgeführte Studie der Forschenden in Bad Nauheim hat erstmals gezeigt, dass dieser Mechanismus bei starkem Übergewicht gestört wird. Mäuse, die durch eine besonders kalorienreiche Diät fettleibig wurden, waren nach einiger Zeit gegen Insulin resistent. Als Ursache hierfür konnte eine verminderte Aktivität der Insulinrezeptoren des Gefässendothels ausgemacht werden. Ein Gefässendothel bezeichnet die innere Auskleidung von Blutgefässen, die aus einer dünnen Schicht von Zellen besteht, die man Endothelzellen nennt. Diese Zellschicht bildet die Grenzfläche zwischen dem Blutstrom und der Gefässwand. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass die Insulinresistenz am Endothel zu einer verminderten Insulinwirkung im gesamten Organismus führt.
Bei den Tests mit gesunden, normalgewichtigen Mäusen aktivierte Insulin die Innenseite der Blutgefässe, was zu einer erhöhten Durchblutung der Muskulatur führte. Dadurch erreichen Insulin sowie Glukose also die Zellen der Muskulatur. Insulin fördert dort die Aufnahme von Glukose in die Muskelzellen. Dies hat eine Abnahme des Blutzuckerspiegels zur Folge. Bei übergewichtigen diabetischen Mäusen bestand hingegen eine erhebliche Insulinresistenz im Gefässsystem, wodurch Insulin kaum noch einen Effekt auf die Durchblutung der Muskulatur besass. Dieser Effekt wird durch einen erhöhten Adrenomedullin-Spiegel hervorgerufen. Wurde der Adrenomedullin-Rezeptor in übergewichtigen, diabetischen Tieren ausgeschaltet, verlor Adrenomedullin seine Wirkung, und die Insulinresistenz nahm deutlich ab. Insulin konnte dann – wie im gesunden Zustand – eine deutlich erhöhte Muskeldurchblutung hervorrufen, was zu einer verbesserten Stoffwechsellage mit verringerten Blutzuckerwerten führte.
Umgekehrt besassen Mäuse, bei denen die Produktion von Adrenomedullin durch einen gentechnischen Eingriff temporär unterbunden wurde, einen normalen Insulinstoffwechsel – selbst dann, wenn sie übergewichtig waren. «Unsere Daten zeigen, welche Wirkung Insulin in Blutgefässen hat und wie bedeutend diese für den Effekt des Hormons im gesamten Körper ist. Die körperweite Insulinresistenz eines durch Übergewicht ausgelösten Diabetes beruht folglich ganz wesentlich auf einer Insulinresistenz in den Blutgefässen», erklärt Studienleiter Offermanns.
Laut Angaben des Bundesamts für Gesundheit (BAG) sind 7,4 Prozent der erwachsenen Bevölkerung von Diabetes betroffen. Die häufigsten Formen sind Typ-1-Diabetes, bei dem der Körper kein Insulin produziert (in der Schweiz laut Schätzung 50 000 Personen), und Typ-2-Diabetes; in diesem Fall produziert der Körper entweder nicht genug Insulin oder reagiert nicht effektiv darauf. Zu den Risikofaktoren für Diabetes gehören Übergewicht, ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, genetische Veranlagung und Alter. Laut DiabetesSchweiz ist rund einem Drittel aller von Diabetes Betroffenen gar nicht bewusst, an dieser Erkrankung zu leiden. Im Durchschnitt vergehen sieben Jahre, bis Diabetes Typ 2 entdeckt wird. Es handelt sich um eine sich schleichend entwickelnde Erkrankung als Folge eines ungesunden Lebensstils.